Ein Umdenken in der Altenbetreuung muss stattfinden, denn Selbstschutz allein zu wenig.
Menschen in Pflegeberufen können Patienten und ihren Bedürfnissen durchaus nahe sein und Empathie entgegenbringen, ohne dass sie dabei den Selbstschutz ihrer professionellen Distanz aufgeben. Die erste Untersuchung des Konzepts „Detached Concern“, das diesen Drahtseilakt beschreibt, gelang der Ulmer Arbeitspsychologin Bettina Lampert http://uniklinik-ulm.de . „Erst allmählich wird bewusst, dass Empathie nicht krank macht. Vielmehr ist sie für die Pflege notwendig – gemeinsam mit der Abgrenzung“, so die Expertin.
Job mit hohen Anforderungen
Die Herausforderung an Pflegende sind sehr hoch, berichtet Lampert. „Pflege ist eine starke emotionale und auch körperliche Belastung, die der Zeitdruck noch verschlimmert. Alte Menschen sind oft physisch oder psychisch belastet – durch Depression, Demenz, doch auch durch die Gegenwart des Todes. Manche Patienten sind jedoch einfach schwierig und weisen andere zurück.“ Pflegende bauen ein Verhältnis zu ihren Patienten auf und leiden mit ihnen mit, stellen oft jedoch auch an sich selbst sehr hohe Anforderungen.
Herz zeigen ohne Mitsterben
Schulungen für Pflegende konzentrieren sich bisher auf das Erlernen von Distanz. Das geht nicht nur auf Kosten der Empathie, sondern auch der Arbeitserfüllung, berichtet Lampert. „Tests mit angehenden Ärzten zeigen, dass ein Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz viel zielführender ist. Sie fühlen sich nachweislich wohler und sind auch gesünder, vergleicht man das Ergebnis entweder mit jenen, die sich empathisch ganz den Patienten widmen und dabei oft emotional ausbrennen, oder mit denen, die nur Distanz wahren und dabei den Sinn ihrer Arbeit verlieren.“
Die Idee der distanzierten Anteilnahme – oft auch im Deutschen als „Detached Concern“ bezeichnet – ist nicht neu. Bisher wurde das Konzept in der Burnout-Prävention angewendet, systematisch jedoch nie in der Pflege. Die Umsetzung dürfte freilich vielen Pflegenden auch bisher gut gelungen sein, verdeutlicht Lampert mit dem Zitat einer alten, im Pflegedienst tätigen Ordensschwester: „Sie formulierte, man müsse mit dem Herz an der Hand arbeiten, ohne gleichzeitig mit dem Patienten mitzusterben.“
Empathie braucht Zeit
Die Arbeitssituation in der Pflege ist höchst verschärft, wozu die vielen nicht-pflegerischen Aufgaben etwa in der Organisation und Bürokratie erheblich beitragen. Der Zeitdruck lässt die Pflege zum Abarbeiten wie am Fließband verkommen, weshalb Lampert wie viele andere in Gesundheitsberufen die Aussicht auf künftige Robotik-Unterstützung sehr begrüßt – aus humanistischen Gründen. „Empathie braucht Zeit. Wer professionell vorgeht und den Patienten trotzdem als Menschen wahrnimmt, erfährt mehr Befriedigung in seiner Arbeit. Damit wird auch für den Empfänger das Ergebnis deutlich besser.“
Das Konzept der distanzierten Anteilnahme könnte man durchaus auf alle Berufe menschlicher Dienstleistungen ausweiten, betont die Psychologin. „Auch Ärzte, Lehrer oder Polizisten müssen vor dem Handeln ihr Gegenüber verstehen und empathisch wahrnehmen, ohne dabei auf Abgrenzung vergessen zu dürfen.“
pte
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