Prof. Filzmaier im Gespräch

Schluss mit der Kommunikationslüge.

BLL: Europaweit heben die Regierungen schrittweise das Pensionsantrittsalter auf vorerst 67 Jahre. In Österreich sind wir derzeit bei Männern bei einem durchschnittlichen Pensionsantrittsalter von 58,9 Jahren. Wenn also heute ein Mann ab 50 noch 8,9 Jahre (im Durchschnitt) bis zu seinem Pensionsantritt arbeitet, sollen dies in Zukunft 17 Jahre sein. Wie glauben Sie, reagiert der Arbeitsmarkt darauf und haben Menschen ab 60 Jahre überhaupt noch Jobchancen, wenn heute bereits 55-Jährige abgebaut werden und in die Frühpension “komplimentiert” werden?

Filzmaier: Rechnerisch ja, weil die Bevölkerungsentwicklung beweist, dass viel zu wenige junge Berufstätige nachkommen. Der Anteil der 15- bis 60-jährigen im sozusagen „besten erwerbsfähigen Alter“ wird nach Daten der Statistik Austria von 62,1 Prozent im Jahr 2011 auf 52,5 Prozent 2050 sinken. Insofern ist es unlogisch, 55-jährige in Pension zu schicken, die wir auf dem Arbeitsmarkt dringend brauchen werden. Die politische Herausforderung ist ein Aus- und Fortbildungssystem des lebenslangen Lernens, um über genug qualifizierte Fachkräfte jedweden Alters zu verfügen. Hinzu kommen Probleme wie regionale und branchenspezifische Unterschiede bei den Jobchancen. Übrigens: Das gesetzliche Pensionsalter in Österreich ist  65 Jahre. Da wäre die Differenz zu 67 Jahren gar nicht so groß, und die Europäische Kommission spricht in einem Strategiepaper bereits von notwendigen 70 Jahren.

BLL: Welche begleitenden Rahmenbedingungen müssen aus Ihrer Sicht für die Wirtschaft, für die Politik und  für die betroffenen Menschen geschaffen werden um dieses Ziel auch zu erreichen?

Filzmaier: Als jemand, der sich mit politischer Kommunikation beschäftigt und kein Volkswirtschafter ist, möchte ich da einen gesellschaftlichen Punkt einbringen: Es wurde älteren Menschen viel zu oft kommuniziert, dass sie für den Arbeitsmarkt nicht geeignet wären anstatt sie wertzuschätzen. Wer alt ist und arbeitet, der wurde als nicht produktiv und wenig effektiv dargestellt, quasi als „unsexy“ und „uncool“. Politik, Wirtschaft und Medien müssten jedoch ein gegenteiliges Bild vermitteln. Schließlich ist neben dem Geld auch soziale Anerkennung eine Motivation für gute Arbeit, und diese müsste man der 50plus-Generation auf dem Arbeitsmarkt entgegen bringen. Der Haken daran: Für die Veränderung eines über Jahrzehnte hinweg geschaffenen Kommunikationsklischees benötigt man wahrscheinlich ebenso langen.

BLL: Wird es bei uns so kommen wie in den USA, wo ältere Menschen neben ihrer Pension Nebenjobs machen müssen?

Filzmaier: Letztlich handelt es sich um eine Verteilungsfrage. Wenn heute in Österreich knapp zwei Millionen Menschen über 60 Jahre leben und 2050 über 3,2 Millionen, dann kann sich jeder ausrechnen, dass beim jetzigen Pensionsantrittsalter weniger Geld für den einzelnen Pensionisten bleibt. Es sei denn, man entnimmt dafür als Zuschuss große Summen aus Budgetbereichen des Staates, was wenig realistisch und auch nicht überall wünschenswert ist. Gehen wir alle deutlich später in Pension, so kann ein dramatisches Absinken der Pension viel leichter verhindert werden. Die Zahl von in der Pension verbrachten Jahren bleibt zudem gleich, weil sich die Lebenserwartung erhöht hat. Persönlich lehne ich natürlich „müssen“ als Nebenjobzwang für Pensionisten mit Geldmangel strikt ab. Jedoch sollte es ganz unabhängig davon ein „wollen“ und „dürfen“ geben, um von der Erfahrung älterer Menschen auch in deren Pension zu profitieren.

BLL: Könnte es sein, dass sich der Zyklus der Berufslebens total verändern wird? Während heute die Lebensplanung so ausgerichtet ist, dass man sie grob in drei Phasen einteilen kann – Aufbausphase – Erntephase und Pensionsphase. Werden sich die drei Phasen so verschieben, dass ab 50 noch eine 4. Phase die Zusatzverdienstphase dazu kommt?

Filzmaier: Ich stelle als Gegenfrage in den Raum, inwiefern sich nicht der Begriff Lebensplanung verändert hat. Man kann das gut oder schlecht bezeichnen, doch wir leben längst nicht mehr in einer Gesellschaft, in der man nach der Ausbildung eine Berufsentscheidung für die nächsten 40 Jahre trifft, und im Extremfall dabei sogar schon den Pensionsgedanken mitkalkuliert. Typisch für Österreich sind außerdem ungewöhnlich lange Bindungen an nur einen Arbeitgeber sowie die beruflich vergleichsweise geringe Mobilität vom Arbeits- und Wohnort her. Auch das ist heute in der Europäischen Union und einer globalisierten Welt nicht mehr zeitgemäß.

BLL: Als Wissenschafter, was raten Sie heute jungen Menschen, wie sie ihre Lebensplanung unter den neuen Rahmenbedingungen gestalten sollten?

Filzmaier; Wiederum würde ich dringend empfehlen eine Kommunikationslüge einzustellen. Seit 1945 galt hierzulande der Slogan „Damit es unseren Kindern einmal besser geht!“ Nach einem Weltkrieg war das ein Versprechen, dass sowohl naheliegend als auch relativ leicht einzuhalten war. Nun stehen wir vor der Situation, dass es den Kindern schlechter gehen wird. Es wird ihnen nicht richtig schlecht gehen, weil Österreich ein wohlhabender Staat ist und bleibt. Bemitleidenswert sind junge Generationen in ärmeren EU-Ländern und der Dritten Welt. Doch wird es heutigen Kindern in deren späteren Jahren nicht besser gehen, als es den Eltern in deren Jugendzeit ging. Dennoch haben wir das berechtigte Versprechen der Großeltern nicht rechtzeitig zurückgenommen. Ich halte also im Dialog mit der Nachfolgegeneration nichts von unerfüllbaren Zukunftsversprechen.

BLL: Das die Menschen zunehmend älter werden und dabei auch gesünder älter werden ist Faktum. Warum haben dann Unternehmen (auch Staatsnahe Betriebe) so ein Problem ältere Dienstnehmer länger zu beschäftigen? So müssen zB ORF Mitarbeiter (auch Journalisten) mit 61 in Pension gehen, obwohl sie nicht wollen und auch noch gute Dienste vollbringen?

Filzmaier: Der ORF-Generaldirektor würde Ihnen vermutlich völlig zu recht und sehr glaubhaft sagen, dass er liebend gerne doppelt so viele Journalisten aller Altersgruppen anstellt, wenn ihm die Politik dafür einen ausreichenden Budgetrahmen ermöglicht. Doch bin ich beim ORF für diesen sehr positiv befangen und das gesamtösterreichische Problem ist komplexer: Für einzelne Unternehmen können sich frühzeitige Pensionierungen aufgrund der hohen Lohnkosten budgettechnisch rechnen und sind daher verständlich, als Staatspolitik ist das falsch. Das wirkliche Dilemma ist ja, dass das faktische Pensionsalter mit im OECD-Durchschnitt 63,6 Jahren höher ist als in Österreich mit knapp über 58 Jahren. In vielen OECD- und EU- Ländern liegt der tatsächliche Pensionsantritt nahe dem gesetzlichen Alter, in Österreich jedoch bei Männern um 6,1 Jahre und Frauen um 2,5 Jahre darunter.

BLL: Aus ihrer Sicht als Wissenschafter ist die Steigerung der Kosten für die Gesundheitsvorsorge auf das älter werden zurückzuführen oder sind andere Ursachen die im Gesundheitssystem liegen wie Spitäler, Pharma- und Medizinindustrie, dafür verantwortlich?

Filzmaier: Ich muss darauf hinweisen, dass ich Politik- und Kommunikationswissenschaftler bin und kein Gesundheitsökonom. Ein Urteil über Vorsorgemanagement oder Medikamentenpreise steht mir also nicht zu. Allerdings wissen wir aus Studien für das Gesundheitsministerium, dass die Zufriedenheit mit dem österreichischen System der gesundheitlichen Vorsorge und Betreuung extrem hoch ist. Ebenso werden eine konstant sehr hohe Qualität und Besserstellung im EU-Vergleich empfunden. Das ist als Vertrauenswert sehr wichtig, führt allerdings auch dazu, dass die Leistungen zu spät in Anspruch genommen werden. Mit anderen Worten: Wir sollten selbst mehr um Gesundheitsvorsorge betreiben, als sich erst im Krankheitsfall behandeln zu lassen.

BLL:  Unter diesen Vorzeichen, dürfen wir Sie fragen, wie ihre persönliche Lebensplanung für die Zukunft aussieht?

Filzmaier: Hm, das ist eine schwierige Frage. Einerseits habe ich sowohl als Hochschullehrer als auch Inhaber einer privaten Forschungsfirma eine Tätigkeit, die mir extrem großen Spaß macht, mich sehr gut verdienen lässt und zudem viel Freiraum in der Gestaltung der Arbeit bietet. So gesehen würde ich als emotionale Momentaufnahme sagen, dass ich das – wenn von der Gesundheit her dazu imstande – mein Leben lang tun und übrigens vielleicht nie in Pension gehen will. Andererseits ist es so, dass ich bisher immer nach fünf bis sieben Jahren etwas komplett Neues machen wollte, einfach der Flexibilität und Abwechslung wegen. Also wer weiß? In beiden Fällen bin ich mir jedoch des Privilegs sehr bewusst, nach einer sehr guten – schulischen und universitären – Ausbildung in der Lebensplanung stets über untypisch viele Wahlmöglichkeiten ohne wirkliche Existenzsorgen verfügt zu haben.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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1 Kommentar

  1. Ja schön auf den Punkt gebracht „Schluss mit der Kommunikationslüge“ – jede Generation muss sich entwickeln, sich aufbauen und auch sich etwas erwirtschaften.
    Schluss mit dem Ruf „Wir wollen mehr, nehmt es den Alten weg“.

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