Ein Interview mit Prof. Dr. Christian Haass zum Thema Alzheimer-Erkrankung.
Der Münchner Molekularbiologe Prof. Dr. Christian Haass zählt zu den renommiertesten Alzheimer-Forschern weltweit. Für seine Arbeiten zur Entstehung der Krankheit wurde er mit dem Brain Prize ausgezeichnet, der unter Hirnforschern ähnlich angesehen ist wie der Nobelpreis. Haass ist Sprecher des Münchner Standorts des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Wir haben mit ihm über seine wissenschaftlichen Erkenntnisse gesprochen – und über mögliche Früherkennungstests, Impfstoffe und Medikamente gegen Alzheimer.
Sie arbeiten seit mehr als 30 Jahren als Alzheimer-Forscher. Was waren in dieser Zeit Ihre wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse?
Prof. Dr. Christian Haass: Das erste große Highlight meines Forscherlebens erlebte ich 1992. Da haben wir das gesamte Feld der damaligen Alzheimer-Forschung auf den Kopf gestellt und einen Neustart veranlasst.
Das müssen Sie genauer erklären.
Prof. Haass: Zu den auffälligsten Veränderungen in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten gehören verklumpte Eiweiß-Ablagerungen, so genannte Amyloid-Plaques. Man dachte lange Zeit, das Amyloid entstehe erst als Teil des Krankheitsprozesses. Aber das war falsch. Jeder Mensch produziert Amyloid – und zwar von Geburt an.
Wie haben Sie das herausgefunden?
Prof. Haass: Durch einen ganz einfachen Trick: Wie haben menschliche Nierenzellen radioaktiv markiert und konnten dadurch nachweisen, dass diese Zellen Amyloid auf natürlichem Weg dauerhaft produzieren. Diese Erkenntnis wurde wenig später zur Titelgeschichte im Wissenschaftsmagazin Nature.
Wie kamen Sie darauf, Nierenzellen zu verwenden? Alzheimer ist schließlich keine Nierenkrankheit.
Prof. Haass: Wir hatten diese Zellen gerade im Labor vorrätig – im Prinzip hätten es auch andere Zellen sein können. Nach der Entdeckung des Amyloids auch in gesunden Menschen war die zweite wichtige wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Immunzellen des Gehirns im Frühstadium der Alzheimer-Erkrankung nicht stark genug aktiviert sind – man muss sie also stimulieren und nicht beruhigen. Die dritte Erkenntnis dreht sich um ein Enzym, das mit der Entstehung von Amyloid zu tun hat – dieses Enzym funktioniert im Prinzip wie eine Papierschere. Aber es war extrem kompliziert und hat Jahre gedauert, bis wir die Funktionsweise dieses Enzyms im Detail verstanden haben.
Ihre gesamte Forscherkarriere dreht sich also um dieses Eiweiß Amyloid. Aus Ihren Erkenntnissen haben Sie die Amyloid-Kaskaden-Hypothese entwickelt? Was hat es damit auf sich?
Prof. Haass: Ganz oben in der Kaskade steht das Amyloid, es ist der Auslöser der Erkrankung, daran gibt es nichts zu rütteln – unabhängig davon, dass auch gesunde Menschen Amyloid produzieren. Aber bei Alzheimer-Patienten bildet das Amyloid, vereinfacht ausgedrückt, dann diese Plaques, diese Verklumpungen. Es setzt damit eine Reaktionskette in Gang, die letztlich zum Tod von Hirnzellen führt. Ein wichtiger Punkt dabei ist: Wenn das Amyloid einmal die Erkrankung ausgelöst hat, dann folgt alles weitere sehr wahrscheinlich unabhängig von Amyloid. Dann breiten sich zum Beispiel so genannte TAU-Proteine aus, also weitere Ablagerungen an den Nervenzellen. Das Amyloid ist damit zwar der Auslöser der Erkrankung, aber nicht die einzige Ursache.
Woran liegt es, dass bisherige Alzheimer-Medikamente noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben?
Prof. Haass: Das große Problem bei allen Behandlungen besteht darin, dass sie zu spät erfolgen, egal, welches Medikament man nimmt. Wenn die Patienten in die Klinik kommen, ist das Gehirn bereits teilweise zerstört, und zwar unwiederbringlich. Darüber hinaus ist die Amyloidkaskade bereits seit langem in Gang gesetzt und läuft bereits unabhängig von ihrem Auslöser, dem Amyloid, ab. Wir kommen schlicht und einfach zu spät, dramatisch zu spät, ich spreche hier von 20 bis 30 Jahren.
Man bräuchte also einen Früherkennungstest?
Prof. Haass: So ist es, das fehlt momentan. Wir müssten damit allerdings extrem früh anfangen, zu einer Zeit, in der die Patienten noch komplett frei sind von Symptomen. Es gibt bereits einen sehr schönen Test, der am DZNE in Tübingen entwickelt wurde – aber er zeigt eben nur an, ab wann die Zerstörung des Gehirns erfolgt. Das ist zu spät, aber dieser Test eignet sich hervorragend, um das Fortschreiten des Nervenzelltodes bzw. dessen Verhinderung zu verfolgen.
Warum eine frühzeitige Diagnose bei der Alzheimer-Erkrankung wichtig ist. Gibt es realistische Ansätze für eine wirkungsvolle Alzheimer-Therapie?
Prof. Haass: Ich würde es so sagen: Es gibt bereits sinnvolle Medikamente, die man aber alle nochmal testen sollte – allerdings früh genug. Es gibt jetzt klinische Studien mit genetisch vorbelasteten Patienten, bei denen wir wissen, dass sie die Krankheit hundertprozentig bekommen werden und wann. Diese Patienten werden zum frühestmöglichen Zeitpunkt behandelt, also ab dem Alter von 18 Jahren. Damit hätten wir schon viel früher starten sollen – denn so können wir herausfinden, wie die Krankheit funktioniert und wie man sie verhindern kann.
Das geht nur mit Patienten, die noch komplett gesund sind. Meiner Ansicht nach brauchen wir nicht 5.000 neue Medikamente, sondern wir sollten die, die wir bereits haben, nochmal richtig und früh genug testen – sie sind nämlich gar nicht so schlecht, wie sie oft gemacht werden.
Wie lange wird es dauern, bis ein massentauglicher Früherkennungstest auf den Markt kommt?
Prof. Haass: Das ist leider nicht vorhersagbar.
Und wie sieht es mit der Entwicklung von Impfstoffen aus?
Prof. Haass: Impfstoffe gibt es im Prinzip bereits und sie haben meiner Meinung nach zumindest zum Teil spektakuläre Effekte. Sie können die Bildung von Plaques verhindern und bestehende Plaques reduzieren. Leider haben auch sie den Nachteil, dass sie es bisher nicht geschafft haben, das Gedächtnis zu stabilisieren – weil die Impfung zu spät erfolgt, wenn die Amyloid-Kaskade längst gestartet ist.
Woran forschen Sie im Augenblick?
Prof. Haass: An den Immunzellen des Gehirns. Im Jahr 2013 wurden Genveränderungen entdeckt, die das Risiko für Alzheimer dramatisch erhöhen können. Diese Gene wurden ausschließlich in den Immunzellen des Gehirns exprimiert. Das hat mir zu denken gegeben, denn es kann kein Zufall sein, wenn man die ganzen Risikofaktoren auf einen Zelltyp reduzieren kann. Also habe ich mit einem ganz kleinen Team angefangen, daran zu arbeiten, mit einer Technischen Assistentin und einem Postdoc. Heute arbeiten praktisch alle meine Labormitarbeiter daran.
Mit welchen Ergebnissen?
Prof. Haass: Einfach gesagt geht es darum, die Immunzellen gezielt zu aktivieren, um den Ausbruch der Krankheit zu verhindern. Wir sind da schon relativ weit, aber es gibt auch viel Konkurrenz. Fast alle großen Pharma-Unternehmen forschen an Alzheimer und ich habe auch schon viele Anfragen zur Zusammenarbeit bekommen.
Was halten Sie von Tipps zur Vorbeugung gegen Alzheimer: Genug Schlaf, kein Übergewicht, gesunde Ernährung, viel Sport, wenig Alkohol, nicht rauchen?
Prof. Haass: Das sind die üblichen Binsenweisheiten, die man seit vielen Jahren kennt. Natürlich gibt es Risikofaktoren wie Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Diabetes. Und natürlich sollten wir körperlich und geistig aktiv bleiben. Damit kann man die Krankheit vielleicht leicht beeinflussen. Aber man kann sie durch noch so viel Sport und Sudoku nicht stoppen oder gar heilen.
Haben Sie Angst, eines Tages selbst an Alzheimer zu erkranken?
Prof. Haass: Ja klar. Aber ich verdränge das. Ich habe mir zum Beispiel mein eigenes Risikoprofil nie angesehen.
Warum nicht?
Prof. Haass: Weil ich dann immer, wenn ich mal etwas vergesse, denken würde: Oh, jetzt ist die Krankheit ausgebrochen.
Was wünschen Sie sich als Alzheimer-Forscher?
Prof. Haass: Dass man uns mehr Zeit lässt und weniger öffentlichen Druck ausübt. Alzheimer ist ein globales Problem und wir müssen hier global zusammenarbeiten. Es gibt Probleme, die können wir nicht mehr alleine lösen. Das gilt für die globale Erwärmung, aber genauso für die Demenz.
ots
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