Das kann doch nicht alles gewesen sein?
Frau Slupetzky, Sie sind Psychotherapeutin und betreuen auch ältere Menschen in ihrer Praxis. Ist Sex denn da überhaupt ein Thema?
Sex ist immer ein Thema, egal ob bei den Jungen oder den Alten. Auch vor der Therapie kann dies nicht halt machen. Die Menschen sind offener geworden und sind auch bereiter, sich damit auseinander zu setzen. Es geht dabei nicht nur um Pathologie, sondern vor allem um die Suche zur Steigerung der Lebensqualität, der Lust, letztlich auch der Liebe.
Längst hat sich herumgesprochen, dass es in den Schlafzimmern unserer Großeltern auch ganz schön “knistern” kann. Die “asexuellen Alten” gehören der Vergangenheit an, der “zweite Frühling” ist in der Zwischenzeit zum “Markenzeichen” geworden. Zu einem Markenzeichen das anrührt und ernst genommen wird, von der Gesellschaft, der Wirtschaft und auch der Wissenschaft.
Was vor 100 Jahren noch undenkbar war, kann heute offen kommuniziert werden.
Dieses Thema ist ja zuletzt auch durch den Film “Wolke 9” stark in die Medien gekommen. Welche Meinung haben Sie dazu?
In dem Film geht es ja nicht nur um die Sexualität im Alter. Es war für mich vor allem ein fast historischer Film, ein Spiegel der alten DDR-Zeit, traurig, trist und schwer, aber auch spontan und tabulos.
Vielleicht findet sich ein Regisseur, der das Thema durch die Linse der Jetztzeit neu aufgreift. Sexualität unter den Alten im Jahr 2009? Eine herausfordernde Aufgabe, wenn man den optischen Anspruch mit einbezieht.
Die Frage ist, wie kann ich würdevoll alt sein und zur “Lust stehen”, wenn Mann sich stützen muss? Und Frau mit sich, Falten und Bäuchlein ohnehin schon ein halbes Leben lang unzufrieden ist?
Liebe kennt kein Alter und Leidenschaft geht nie in Pension, außer sie geht oder ist längst gegangen.
Wenn Hingabe möglich ist, dann ist der “7. Himmel” in greifbarer Nähe und die Lust bestimmt, nicht das Alter, “Wolke 9”, ein Film mit Leidenschaft, er hat es uns gezeigt.
Gibt es im Umgang zu diesem Thema Unterschiede, wie Männer und Frauen damit umgehen?
Wenn Menschen den Weg zu mir in die Praxis finden, dann merke ich kaum Unterschiede im Umgang zum Thema Sexualität ganz allgemein. Es gibt meistens ganz gezielte Anliegen die besprochen werden wollen und die Menschen sind an Lösungen interessiert, die den Leidensdruck lindern.
Sexualität ist Beziehungsthema und muss sehr individuell betrachtet und behandelt werden, lässt man krankheitsbedingte Sexualstörungen einmal außer acht.
Hat sich die generelle Einstellung – ich meine damit den offenen Umgang zum Thema “Sex im Alter” in den letzten Jahren bei den Älteren geändert oder ist dies oftmals noch ein Tabuthema?
Die “Alten” sind sehr “modern” und offen geworden. Aber wer gesteht sich schon gerne chronische Lustlosigkeit oder “Schwäche im Bett” ein?
Jeder wird mit seiner bisher gelebten Art von Sexualität auch alt, eine eigenständige “Alterssexualität” gibt es nicht. Schwierigkeiten können sich durch altersbedingte Veränderungen der Sexualfunktionen ergeben, die aber im Vergleich zu anderen Funktionssystemen nur sehr langsam altern.
“Was körperlich nicht mehr geht, übernimmt die Zärtlichkeit” und emotionale Ebene, Fragen können sich ergeben:
Welche Bedeutung habe ich der Sexualität im Leben beigemessen?
Wie habe ich bisher Sexualität gelebt?
Wie frei war mein Umgang mit Außenbeziehungen?
Hat mich das Thema “Scham” beschäftigt?
Zuwendung, Nähe und Geborgenheit? Sicherheiten?
Gab es Verletzungen? Kränkungen?
Das “darüber Reden” ist einfacher geworden und öffnet nicht nur die Herzen – eine wichtige Sache, erfolgversprechend. Und wenn Sie Hilfe brauchen, scheuen Sie sich nicht davor, sich dieser zu bedienen.
Können Sie unseren Lesern einen generellen Ratschlag zu diesem Thema geben?
Sexualität ist gesund und macht glücklich.
Just do it!
Danke für das Gespräch.
Interview mit Ingrid Slupetzky, Psychotherapeutin in 1180 Wien, www.psychotherapie-wien.net
Auch jetzt diese Fragen am Ende des Artikel zu lesen und für sich selbst in der Gegenwart zu beantworten ist sehr interessant.
Manchmal kommt es mir so vor als würde die ältere Generation sogar in einiger Hinsicht offener mit dem Thema umgehen können als so mancher Jugendliche.
Kann man aber natürlich nicht verallgemeinern.