„Lohengrin“ – Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen begeistert

Wagners Entwurf vom ,Gesamtkunstwerk‘ immer noch etwas Großartiges

Am 25. Juli 2018 fand die Premiere der Romantischen Oper in 3 Akten von Richard Wagner statt.

„Lohengrin“ – Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen von Yuval Sharton, die Musikalische Leitung liegt in den Händen von Christian Thielermann, Bühne und Kostüme haben Neo Rauch und Rosa Loy gestaltet.

Hier einige Informationen zum Gesamtkunstwerk und wer war Lohengrin?

Wie andere große Ideen seines Jahrhunderts hat Wagners Entwurf vom ,Gesamtkunstwerk‘ immer noch etwas Großartiges, Faszinierendes und Utopisches. Er besaß aber auch etwas sehr Individualistisches: Denn die vielen engverflochtenen Elemente einer Oper stammten in den Bayreuther Anfangsjahren allein von einem großen Geist. Aus der Sicht des 21. Jahrhunderts kann man allerdings die Gefahr, die darin liegt, gut erkennen: Wenn man Theater als Gleichnis sozialer Verhältnisse betrachtet, kann einem Wagners Schöpfungsprozess problematisch erscheinen und als extreme „Monomanie“ bezeichnet werden. Die Folgen dieses Modells haben die Weltgeschichte stark und natürlich nicht immer positiv beeinflusst. Man muss aber den Widerspruch erkennen, dass, wenn das Geschaffene durch eine monologische Methode erzeugt wurde, das daraus resultierende Werk verblüffend antiautoritär sein kann. Lieblose oder seelenlose Obrigkeit repräsentiert bei Wagner immer den größten Gegner des freien oder freiseinwollenden Individuums, und Lohengrin, geschrieben in der Zeit des Vormärz, hat einen besonders antiautoritären Charakter.

Gerade darum ist es schön, mit den Malern Neo Rauch und Rosa Loy hier in Bayreuth – im Haus des Gesamtkunstwerks – eine alternative Arbeitsweise zu kreieren, die einen erweiterten Begriff des Gesamtkunstwerks anbietet. Verschiedenartige Ideen in einem Strom zu vereinen und in ein gemeinsames Schaffen münden zu lassen, um Vielseitigkeit zu erzeugen – oder besser, die Vielseitigkeit des Werks zu treffen: Das war die Aufgabe. Diese Inszenierung ist also der Schnittpunkt vieler Ideen, genau wie die Harmonie dem Einklang unterschiedlicher Stimmen entspricht.

Die Elektrifizierung des Landes

Im ersten Bühnenentwurf von Neo und Rosa stand ein Strommast in der Mitte der Bühne. Er trug die trübe, melancholische Farbe eines Relikts und wurde als Gerichtseiche angesehen, genau wie ein ruinenartiger Isolator als Königsthron fungierte. Mir hat dieses Bild erzählt, dass Brabant ein untergegangenes Land ist, ohne Elektrizität, ein Land, das die Energie verloren, und das Verlorene zum Göttlichen überhöht hat. Anders gesagt, Lohengrin muss den Strom ins finstere Brabant bringen, ähnlich wie Lenin Russland ‚elektrifizieren‘ musste. Lohengrin und Lenin: Muster visionärer Führer, die ein Ideal verkörpern und doch von Widersprüchen zerrissen werden. Lohengrin als Idee, als Vision, als deus ex machina, erscheint wunderbar, aber je länger seine ätherischen Zehenspitzen den Boden berühren, desto mehr wird er durch den Einfluss der Realität korrumpiert. Im ersten Akt redet er von seinen tugendhaften Absichten und seinen Visionen: Eine Frau zu retten und auf ein höheres Niveau zu bringen. Er gibt ein idealisiertes Beispiel für eine Gesellschaft der gleichwertigen Geschlechter, nicht unähnlich Lenins Aufruf für die soziale Gleichberechtigung von Mann und Frau. In jedem Fall eine höchst löbliche Absicht, aber leider noch heute schwer realisierbar. Weder Lenin noch Lohengrin konnten sie in ihrem Privatleben realisieren. Im dritten Akt zeigt Lohengrin, wie seine Frau im ‚Brautgemach‘ ihm gehorchen und seine Lust erfüllen muss. Insgeheim steht er auf Beherrschung, gegen die er im Öffentlichen eintritt. Diese bis in die Gegenwart nur allzu bekannte Heuchelei macht Lohengrin aber nicht böse, sondern lässt ihn als tragischen Exponenten der Unvollkommenheit und Ungerechtigkeit erscheinen, die jede Ideologie zur Folge hat. Die Tragödie des Stückes ist nicht Elsas Scheitern, sondern das Lohengrins.

Müssen alle Ideale, die in ihrem Kern heil und heilend sind, an der Realität scheitern? Wagner sann über diese verzweifelte Frage nach, als er seinen Gang auf die Dresdner Barrikaden vorbereitete.

Lohengrin. Riihonen-Gniffke-Laporte-Stiefermann_Edlen_©Enrico-Nawrath

Zum Märchen und zur Gewalt

Das märchenhafte Kolorit der Oper darf nicht als eine Besänftigung wahrgenommen werden. Märchen benutzen Mittel der Abstraktion – Distanzierung vom Historismus und unerwartete, fantasiehafte Brüche –, um die Essenz der Erzählung hervorzuheben. Das Märchenhafte bei Lohengrin ist eine Maske, hinter der Wagner seine Kritik an der Gesellschaft seiner Zeit leidenschaftlich in Szene setzte.

Dieses Märchen erzählt von einem Helden, der jedes Nachfragen strikt untersagt. Aber das Thema „blinder Gehorsam“ setzt nicht mit Lohengrins Frageverbot ein, sondern mit dem religiösen Scheingericht in der ersten Szene. Nicht zufällig stammt Marx’ Satz “Die Religion ist das Opium des Volkes” aus dem Jahre 1844, der Entstehungszeit der Oper. Lohengrin zeigt die schädlichen Folgen des religiösen Rauschmittels: Wie eine Gesellschaft, in der Religion und Regierung untrennbar verbunden sind, einen häufig beschworenen Gott als Mittel der Unterdrückung benutzt. Solche Gesellschaften brauchen beständig Opfer, um ihre Macht zu bestätigen — am besten Frauen, in vielen Religionen die ‚Wurzel allen Übels.‘ Die Schuldlosen werden ohne Beweis bestraft, die wahrhaft Schuldigen dagegen bleiben in der Gunst des Königs, und das Volk – der Chor in der Oper –, leicht überdreht von einem Spektakel, nimmt die lähmende Wirkung dieses Opiums nicht wahr.

Darum ist das im Lohengrin gezeigte Königreich weder Vorbild noch heile Welt, sondern ein verwahrlostes Land, im Fundamentalismus eingefroren. Wir dürfen König Heinrichs ‚Gott‘ nicht mit unserem Begriff von ‚Güte‘ verwechseln: Der König gibt sich demütig, um seine Macht zu erhalten und um seine Untertanen in ihrer niedrigen Position zu halten. („So hilf uns, Gott, zu dieser Frist, weil unsre Weisheit Einfalt ist!“) Er zeigt eine offizielle Maske und benutzt oberflächliche Begriffe und politische Slogans, die das Volk vom innergesellschaftlichen Unrecht ablenken, und die der Männerchor gerne wie ein Echo wiederholt. (“Für deutsches Land das deutsche Schwert! So sei des Reiches Kraft bewährt!”) Man spürt bei Wagner keinerlei Sehnsucht nach ‚der guten alten Zeit‘ in dem Gesellschaftsbild seiner Oper, wie etwa später in den Meistersingern, sondern erhält das Gefühl einer grausamen, unmenschlichen Situation, die dringend überwunden werden muss – so wie Wagner die bürgerliche Gesellschaft seiner Zeit damals betrachtete.

Zum aufkeimenden Bewusstsein Elsas und dem positiven Einfluss Ortruds

Elsa steht im Gegensatz zu dieser Gesellschaft ohne frei denkende Individuen, und die Haupthandlung der Oper zeigt ihre zwei Befreiungen. Die erste geschieht durch Lohengrin im ersten Akt: Er rettet sie vorm Tod und vor der feindlichen Brabanter Gesellschaft. Jedoch ist die zweite Befreiung im dritten Akt viel wichtiger, denn dort befreit sie sich selbst: Von Lohengrins unmöglichen Erwartungen. „Ist dies nur Liebe?“ fragt sie sich zweifelnd im dritten Akt – nein, erkennt sie in dem Moment, als sie das Frageverbot bricht. „Das Glück ohne Reu“ darf nicht blind sein, sondern ist wissend, offen und frei. Elsas Entwicklung allein gibt Antwort auf Wagners gesellschaftlichen Zweifel: Wenn man seine Ideale in die Realität umsetzen will, muss man auch die Ideale hinterfragen und an der Realität messen.

Um ihre Befreiung zu erringen, braucht Elsa allerdings Ortruds Hilfe. Ortrud ist eine Überlebenskünstlerin, wie eine Spinne unter Fliegen. Sie ist eine Art „Satan“ — dämonisiert von der institutionellen Kirche. „Der beste Freund der Menschheit“, Mikhail Bakunin, Wagners Freund in der Entstehungszeit Lohengrins, beschreibt Satan in Gott und der Staat so:

“Gott wollte also, daß der Mensch, allen Bewußtseins von sich selbst beraubt, ewig ein Tier bleibe, dem ewigen Gott, seinem Schöpfer und Herrn Untertan. Aber da kam Satan, der ewige Rebell, der erste Freidenker und Weltenbefreier. Er bewirkt, dass der Mensch sich seiner tierischen Unwissenheit und Unterwürfigkeit schämt; er befreit ihn und drückt seiner Stirn das Siegel der Freiheit und Menschlichkeit auf, indem er ihn antreibt, ungehorsam zu sein und die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen.”

So positiv können wir auch Ortrud verstehen: Sie ist eine Freiheitskämpferin, sie wendet sich gegen die Heuchelei der Brabanter. Als Frau in einer männlich dominierten Gesellschaft muss sie besonders geschickt handeln und verschwiegen sein. Als Revolutionärin mit matriarchalischen Wurzeln will Ortrud diese Gesellschaft überwinden. In der Szene zwischen den beiden Frauen Elsa und Ortrud im zweiten Akt wird oft angedeutet, dass die „Schlange“ Ortrud Elsas Reinheit mit Zweifeln vergiftet. Aber anders gesehen: Ortrud beabsichtigt, Elsa vor der giftigen Gesellschaft zu retten, um sie in eine Freidenkende zu verwandeln. Und Ortrud hat völlig recht, Lohengrin in Frage zu stellen. Ortrud fordert Elsa heraus, ihre kritischen Fähigkeiten zu gebrauchen. Am Schluss verlässt Elsa diese Gesellschaft und deren falschen Glauben und geht…Wohin? Wir wissen es nicht.

Sie zieht in die Welt hinaus, stärker und intelligenter als zuvor, und weniger naiv. Und wenn sie nicht gestorben ist, lebt sie heute immer noch…

Yuval Sharon

Lohengrin

Als Maler, die aus der Versenkung schöpfen, sind wir es gewohnt, die Welt durch halbgeöffnete Lider zu betrachten, sowie Vorgänge, die sich im Augenwinkelbereich ereignen, einsinken zu lassen, in unseren Bestand an Formen, Farben und Geschichten. Die uns angetragene Beschäftigung mit dem Lohengrinstoff entwickelte unter dieser Bedingung eine ganz eigene, eigentümliche Dynamik, denn sie vollzog sich praktisch auf dem Gleitfilm der Wagnerschen Musik.

Lohengrin. Foto: EnricoNawrath_presse

Lohengrin ist seit nunmehr sechs Jahren ein Lebensbegleiter, der uns von Jahr zu Jahr immer näher rückte; sein Vorspiel als atmosphärisches Lockmittel für inspirative Einschübe erklang nahezu täglich in unseren Ateliers.
Die ersten Anwandlungen ergingen sich in einer sepiatonigen Stimmung und brachten rostiges Gußeisen zu Tage; dies führte zu in sich stimmigen Bildern, die indessen nicht vom suggestiven Bannstrahl dieser Musik genährt wurden, und die sich abseits niederließen.

Dann entstand ein blaues Bild, während das Vorspiel den Raum auflud. Ein ganz kleines, eine verwilderte Transformatorenstation neben einem Strommast darstellend, das sich zunächst nicht aus dem Stoff herzuleiten schien. Und ganz in Blau!
Die Farbe des Vorspieles ist blau, so haben wir es empfunden und erst später von Nietzsches enthusiastischem Ausruf erfahren: Blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung, sei diese Musik!

Somit war eine unvermutete Kongruenz hergestellt, die alles Weitere mit geradezu magnetischer Folgerichtigkeit nach sich zog. Die Transformatorenstation in Delfter Kachelblau stellte einen jener Brüche in der Lineatur rationaler Abläufe dar, aus denen das Geheimnisvolle in die Wahrnehmung tritt, und zugleich bietet die Konstellation mannigfaltige assoziative Anknüpfungspunkte.

Die Verschränkung von Zeitebenen auf einem Bilde war gängige Praxis im Surrealismus, aber auch in unseren Ateliers.
So schien es uns zwingend, die Handlung im zeitlichen Raum zwischen den gestärkten Kragen eines Anthonis von Dyck und der neoromanischen Industriearchitektur des frühen Elektrifizierungszeitalters freischwebend zur Entfaltung zu bringen, was freilich vor dem Hintergrund des – hochenergetische Sachverhalte verhandelnden Lohengrinstoffes einen überzeugenden Spannungsbogen entstehen ließ.

Dies alles wird zudem unter den Bedingungen eines eher klassischen Kulissentheaters entwickelt; der Malerei somit eine Huldigung darbringend, schließen wir einen üblicherweise hermetischen Raum für die Austragung des Musikereignisse auf, dessen suggestive Kraft auf elektrischen Leitungsbahnen durch die Zeiten strömen kann.

Lohengrin mutet märchenhaft und wie aus uralten Zeitsedimenten hervorgehoben an. Aber betrachten wir die Protagonisten, so fallen die starken Frauenfiguen auf, die das Stück unglaublich beleben. Beide gehen sehr unterschiedliche Wege, um Ihre Lieben zu beschützen und zu formen. Das ist der Faden, der sich durch alle Zeiten bis heute hindurchzieht. So ist Lohengrin mit seinem Spannungsbogen vom Unbewussten zum realen Leben sehr aktuell.

Neo Rauch & Rosa Loy

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3 Kommentare

  1. In Zeiten wo wir fast nur mehr über pubertierende Fussball-Götter reden – eine Wohltat das es noch Menschen gibt die sich für Kunst und Kultur interessieren.

  2. Der Beitrag klingt ja super, muss ich mir Karten besorgen. Bin gespannt auf die Neuinszenierung.

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