Solidarität der Zivilgesellschaft und kleine Lebenskreise im Aufschwung.
Familie ist nicht in der Krise!. Familien brauchen in der Erziehung von Kindern Unterstützung von Außen. Diese erhalten sie zunehmend durch freiwilliges Engagement der Zivilgesellschaft. Zu diesem Schluss kommt der Soziologe Hans Bertram von der Berliner Humboldt-Universität. Im Vorfeld des Symposiums „starke.familien.werte“ http://www.familie.at/index.php?id=664 , das der katholische Familienverband demnächst anlässlich des Internationalen Tages der Familie in Wien veranstaltet, analysiert der Familienexperte im Interview die aktuellen Herausforderungen in der Familienpolitik.
Wie geht es der Familie heute?
Bertram: Besser als man oft annimmt. Viele Kinder machen eine qualifizierte Ausbildung oder ein Studium, wofür die Eltern auch einiges investieren. Die Beziehungen der Eltern sind freilich weniger stabil als noch vor 20 Jahren, wodurch in Folge die Gestaltung der Beziehung zwischen Vater und Kindern nach einer Scheidung zu einem der Hauptprobleme wird. Gleichzeitig werden jedoch familiäre Netze wie etwa die Großeltern in der Erziehung wichtiger. Da die Mütter heute arbeiten, gehen die Kinder oft zu Oma und Opa.
Etabliert sich ein neues Familienmodell?
Bertram: Nein, denn statt einer großen Krise gibt es heute vielmehr spezifische Veränderungen, die bei genauem Hinsehen keine völligen Neuerungen sind. So gilt etwa das Modell von Hausfrau-Mutter und Ernährer-Vater nicht mehr. Das Modell ist bei uns jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommen, während schon zuvor die Erwerbstätigkeit beider Eltern für das Sichern der ökonomischen Basis nötig war.
Inwiefern passt die hohe Scheidungsrate in dieses Bild?
Bertram: Viele Eltern leben heute in sequenzieller Monogamie, in der sich die Partner zwar Treue versprechen, jedoch nicht unbedingt bis an das Lebensende. Dass die Scheidung so häufig ist, hängt auch mit der schwindenden Kinderzahl zusammen, mit der die Trennungswahrscheinlichkeit nachweislich steigt. Die Scheidung ersetzt heute das einstige vorzeitige Ableben eines Partners, wachsen doch nach wie vor 30 Prozent der Kinder mit nur einem Elternteil auf. Das Gefühl hoher unmittelbarer Verantwortung für die Kinder bleibt auch bei getrennten Eltern meist noch bestehen.
Wo gibt es Nachholbedarf?
Bertram: Die zentrale Frage für die Familie lautet: Wie kann ich die Unterstützung erhalten, die ich benötige? Mängel sehe ich hier bisher vor allem in der Umsetzung einer hochwertigen Ganztagsbetreuung und Ganztagsschule. Es geht dabei weniger um die Sicherung der Erwerbstätigkeit der Mütter, sondern um soziale Kontakte zu Gleichaltrigen, die Kinder heute immer seltener in der Nachbarschaft finden. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund brauchen mehr Sprachunterricht. Ein weiteres Problem ist die lange finanzielle Abhängigkeit der jungen Männer von ihren Eltern, die die Familiengründung verzögert. Junge Paare haben zwar früh Sex und leben oft zusammen, auf Kinder warten sie aber zu lange.
Wie geht die Familienpolitik mit diesen Problemen um?
Bertram: Den deutschsprachigen Ländern gelingen die nötigen Änderungen nur sehr langsam und meist als Reaktion auf schon vollzogenen Gesellschaftswandel, statt dass sie wie die skandinavischen Länder aktiv den Wandel der Lebensbedingungen begleiten. Das Hauptproblem dahinter ist die föderale Struktur, aufgrund derer die Familienpolitik weit mehr Widerstände zu überwinden hat als bei zentralstaatlicher Regelung. Innerhalb der einzelnen Bundesländer und Kantone gibt es somit haushohe Unterschiede, etwa was das Kindergeld oder die Betreuung betrifft.
Woher kommt die Unterstützung, wenn nicht vom Staat?
Bertram: Immer wichtiger werden die ‚kleinen Lebenskreise‘, das stützende soziale Umfeld. In der Menschheitsgeschichte erhielt die Familie schon immer Hilfe in der Erziehung durch die Nachbarschaft. Deren Rolle ist wieder wichtig, ebenso wie etwa die erwähnten einspringenden Großeltern. Bei alleinerziehenden Müttern kümmert sich oft auch der Vater um den Unterhalt, obwohl er außerhalb des Haushalts lebt. Doch es bilden sich auch neue Strukturen wie etwa Tauschringe für Kinderartikel oder freiwillige Patenschaften für die Schwangerschaft, für das Deutschlesen oder für den Berufseinstieg von Jugendlichen.
Wie groß ist die Bereitschaft, sich hier freiwillig zu engagieren?
Bertram: Die Solidarität in der Erziehung und Begleitung von Kindern ist enorm. Diese neuen Formen familiärer Hilfe brauchen jedoch auch professionelle Unterstützung. So muss etwa ein älterer Handwerker darauf vorbereitet werden, mit einem türkischen Jungen zu arbeiten, wie auch dieser zunächst lernen muss, den Handwerker zu akzeptieren. Ähnlich brauchen Patenschaften im ersten Lebensjahr eines Kindes eine Krisenhebamme in Reichweite, die Problemsituationen abfedern kann. Stimmen die Rahmenbedingungen, lässt sich die Zivilgesellschaft gerne für ein derartiges Engagement mobilisieren. Teils sieht sie diese Tätigkeiten auch als bewusste Alternative zum Gang in die Politik.
Danke für das Gespräch.
Die finanzielle Abhängigkeit der jungen Männer ist in meinen Augen eines der Hauptprobleme. Wer erst Ende 20 mit dem Studium fertig ist und dann im Zweifel noch Kredite abzuzahlen hat, der wird sich zweimal überlegen Kinder zu bekommen. Dabei braucht Deutschland dringend mehr junge Menschen!
Ich verstehe nicht, warum sich die Zivilbevölkerung hier freiwillig engagieren soll? Warum bezahlt nicht Fachkräfte dafür und schafft gleichzeitig neue Arbeitsplätze? Ich hätte jedenfalls keine Zeit, neben der Arbeit noch Kinder zu betreuen, und das auch noch kostenlos.
Der Herr Bertram hat einige wichtige Punkte angesprochen, wie ich finde. Die Familien von heute brauchen mehr (finanzielle) Unterstützung, denn Kinder sind das Kapital unserer Gemeinschaft!