Nicht Fakten, sondern Moral und Werte bestimmen Wahlverhalten.
Politik ist immer ideologisch, Objektivität eine Illusion. Wähler treffen ihre Entscheidung nicht nach objektiven Fakten, sondern subjektiven Wertesystemen. Daher funktionieren interessen- oder zielgruppengeleitete Kampagnen selten, aber moralische Empörung und Schwarz-Weiß-Malerei immer. Schon seit den 1980er-Jahren belegen Studien, dass Menschen politische Parteien oder Programme nicht nach Eigeninteressen wählen, sondern aus dem Bauch heraus. Moral und Einstellung bestimmen das Wahlverhalten, nicht die sozialen Verhältnisse oder das Einkommen, sagte die Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling bei einer Veranstaltung des Sir Peter Ustinov Instituts in Wien.
Die politische Linke, aber auch die Zentrumsparteien, hätten es in den vergangenen Jahrzehnten verabsäumt, über Werte und Moral zu sprechen, meinte die Wissenschafterin, die in Berkeley, Kalifornien, lehrt. Dies war nicht nur in Österreich und Deutschland, sondern quer durch Europa und in den USA der Fall. Die politischen Eliten haben sich so von ihren Wählern immer weiter entfernt, so dass sogar bereits die Legitimation gewählter Repräsentanten oder von ganzen Institutionen infrage gestellt wird. In diese Lücke stoßen die Rechtspopulisten. Daher sind auch Politiker vom Schlage eines Donald Trump so erfolgreich darin, negative Bauchgefühle gegen das Establishment zu kanalisieren.
Entscheidend sind die 35 Prozent in der Mitte
Wehling erklärt dieses Phänomen mit dem Begriff des „Framings“. Alles was man nicht kennt, was man nicht sehen, riechen, spüren oder schmecken kann – wie etwa den Begriff „Kriminalität“ – muss man in gedanklichen oder sprachlichen Bedeutungsrahmen (in Metaphern) diskutieren. Und da gibt es immer nur einen „progressiven“ (fortschrittlichen) oder einen „konservativen“ (bewahrenden) Zugang. Konservative Menschen wollen einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen, progressive Leute sind offen für Neues oder auch eher bereit zu diskutieren. Beide lassen sich im Grunde in ihren Meinungen und Einstellungen immer bloß bestätigen. Entscheidend seien jene rund 35 Prozent in der Mitte, die keines der beiden Wertemodelle vertreten.
Schlagwörter machen mobil
„Die politische Mitte ist kein Vakum“, sagt Wehling, sondern seit vielen Jahren konstant in ihrer Größe und hoch mobil in ihrem Wahlverhalten. Je nachdem, welches Wertemodell ihr gerade besser entspricht (und welche Politik ihre Emotionen und Wertevorstellungen besser anspricht), tendiert sie nach rechts oder nach links. Dennoch: Politische Rahmen (Frames) sind seit der Reagan-Ära in den 1980er-Jahren geprägt von konservativen Wertvorstellungen. Und wer dagegen progressiv agieren will, sollte darüber nachdenken, welche Schlagwörter er verwendet, klärt Wehling auf, die in ihrer Forschung mit Gehirnscans, Experimenten, Befragungen und Mitteln der Sozialpsychologie arbeitet.
Container-Begriffe und überhöhte Moralität
Kulturhistoriker Walter Ötsch erläuterte anhand vieler Beispiele die Macht der Sprache im politischen Diskurs und die Methodik der Rechtspopulisten, durch gezielte Wortwahl und Inszenierungen Feindbilder sowie Verschwörungstheorien zu kreieren. Einfache Bildsprache der Rechten sei absolut wirksam. Ötsch sprach etwa von „Container-Begriffen“ („Wir, das Volk“), „Kampf-Bezeichnungen“ („Wir müssen uns wehren!“), überhöhte Moralität („Wir sind die Guten!“). In einem solchen Diskurs, wenn es um „die da oben“ geht und um einen Kampf gegen eine andere Gruppe, seien politische Sachkenntnisse nicht mehr nötig.
Ötsch warnte davor, den Rechtspopulismus auf die leichte Schulter zu nehmen. Hier gehe es um reine Demagogie: Vorwürfe, Inszenierungen, Parallelwirklichkeiten, Angstmache, Verschwörungsmythen in allen Eskalationsstufen. Hier werde die Legitimität des gesamten demokratischen Systems infrage gestellt. Er halte es dabei mit dem Philosophen Foucault: „Wir müssen dieses Denken wörtlich nehmen.“
Finanzkrise hat etablierte Politik lahmgelegt
Warum die rechtspopulistische Welle gerade jetzt so stark wird, erklärte Ötsch mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008. Seither operiert die Politik nur noch mit den Begriffen „Krise, Krise, Krise“ und „Rettung, Rettung, Rettung“, sie habe es nicht geschafft, die Geschichte zur Krise zu erzählen. Das sei die Stunde der Rechtspopulisten, beginnend mit der Auferstehung der Tea Party in den USA als Antwort. Seither steht das Wirtschaftssystem im Stagnationsmodus, die Ungleichheit wird größer und der soziale Kitt dünner.
Für die Rechtspopulisten eine einfache Sache: Die Politik kann sich nicht mal selbst behaupten. „Wenn man die Wirtschaft nicht im Griff hat, dann ist die Demokratie infrage zu stellen und eine autoritäre Wende die logische Folge“, orakelte Ötsch. Befragt nach adäquaten Lösungen sagte Ötsch, die Antwort seien positive Werte, Konzepte für Lebensqualität, eine neue moralische Vision, die Hoffnung und positive Bilder entstehen lässt. Der Sozialdiskurs sei immer auch ein Moraldiskurs. Es brauche einen Moraldiskus mit positiven Bildern.
Mangel an Wertediskussion
Auch Wehling bestätigt: Populisten haben keine Fakten und kein Programm, reden dafür aber ständig über Werte. Sie tragen ihre Weltsicht vor sich her, und ihre moralische Empörung funktioniert immer, ebenso wie ihre negativen Bilder enorme Zugkraft entwickeln. Hingegen verabsäumt es die etablierte Politik, ihre Werte deutlich zu machen. Im politischen Diskurs zählen Daten und Fakten nicht, sagte die Linguistin, sondern das moralische Bauchgefühl. Politiker müssten daher erklären, für welche Werte sie stehen, und wie ihre moralische Vision aussieht. Sie müssten raus aus der Fiktion, dass der Mensch rational ist und auf Basis von Daten und Fakten entscheidet.
pte