Anteil der älteren Bevölkerung verdoppelt sich bis 2050 – Gesundheitspolitik muss „längere Lebenszeit bei hoher Qualität“ ermöglichen.
Die Bevölkerung wächst und altert gleichzeitig rasant:
„Während derzeit in etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung älter als 65 Jahre sind, werden es 2050 bereits 22 Prozent sein“, warnt der renommierte deutsche Allgemeinmediziner und „Aufklärer“ Dietrich Grönemeyer anlässlich des „Ersten Österreichischen Gesundheitsgipfels“. Er fordert in einer sehr emotional aufgeladenen Eröffnungsrede vor mehr als 300 Zuhörern bei der von der Wiener Ärztekammer veranstalteten Tagung ein „radikales Umdenken in der Gesundheitspolitik unter der Prämisse ‚Heilen statt Kranksparen‘“.
Grönemeyer machte deutlich, dass Investitionen im Gesundheitssystem nicht primär unter dem Aspekt der Kosten begriffen werden sollten. Vielmehr sollte der damit verbundene volkswirtschaftliche Nutzen in den Vordergrund gestellt werden. Investitionen in das Gesundheitswesen seien Investitionen in die Entwicklung der Gesellschaft, und zwar im ganzheitlichen Sinn: wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Gesundheit sei „kulturerhaltend und kulturschaffend“, so Grönemeyer.
Auch für den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, stellen der technologische Fortschritt und der demografische Wandel Deutschland wie Österreich „vor eine riesige Herausforderung, die auch das Gesundheitssystem grundlegend verändern wird.“ Mit zunehmender Lebenserwartung würden auch Ansprüche an die gesundheitliche Versorgung und Versorgungssicherheit steigen. Aufgabe der Politik sei es, eine ausgewogene Balance zwischen staatlichen und privaten Leistungen und Anbietern sicherzustellen sowie bessere Rahmenbedingungen für Wettbewerb und Effizienz zu schaffen. Die Erfahrung anderer EU-Länder könne dabei helfen.
Dis Referenten unter internationaler Besetzung beschäftigten sich vor allem mit der Frage, ob Sozialstaaten ihre Gesundheitssysteme überhaupt noch finanzieren können und wie die Politik auf die aktuellen Herausforderungen reagieren kann, um den Spagat zwischen Versorgungssicherheit auf der einen und Effizienz und Wettbewerb auf der anderen Seite zu gewährleisten.
Gesundheit – Ökonomisches Potenzial oder Kostenfaktor?
Michael Stolpe vom Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel erteilte dabei der Politik den Auftrag, „den Menschen zu helfen, ihren Wunsch nach längerer Lebenszeit bei hoher Qualität in Erfüllung gehen zu lassen, mit anderen Worten: der expandierenden Nachfrage ein qualitativ hochwertiges und mit der Nachfrage expandierendes Angebot entgegenzustellen.“
Eine Schlüsselrolle spielt dabei für Stolpe ein gut entwickeltes und sich stetig weiter entwickelndes Gesundheitswesen: „Es muss seine Produktivität durch die Absorption neuen medizinischen Wissens immer weiter steigern, und zwar einerseits unter anderem durch eine noch bessere Aus- und Weiterbildung seiner Mitarbeiter und andererseits durch die effiziente Adoption relevanter technologischer Innovationen.“
Diese Innovationen würden oft von großen internationalen Unternehmen angeboten, die vielfach durch Patente abgesicherte Monopolmacht hätten und dazu neigten, die geringe Preissensitivität der effektiven Nachfrage in solidarisch finanzierten Gesundheitssystemen auszunutzen, um hohe Preise und Gewinnmargen durchzusetzen. Um dieser „Marktmacht der Technologieanbieter in Zulassungs- und Preissetzungsverfahren“ wirksam entgegentreten zu können, bräuchten Länder mit solidarisch finanzierten Gesundheitssystemen effiziente Verfahren der vorausschauenden Technologiebewertung, einschließlich ökonomischer Evaluationen.
ots
Foto: Ärztekammer
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